Die Erziehung des Ritters
Wahrsager an der Wiege
Im Augenblick der Geburt entscheidet sich das Leben eines Menschen. So dachte
man im Mittelalter. Deshalb drängten sich Astrologen, Traumdeuter und
Wahrsager mit ernsten Gesichtern um die Wiege eines neugeborenen Säuglings
adeliger Abstammung. Was immer während der Geburtsstunde geschah, es
war von großer Bedeutung: Der Schrei eines Hahnes etwa, ein Gewitter,
ein gleichzeitiger Todesfall, Schneefall, Regen, die Stellung der Gestirne
oder eine Sonnenfinsternis gar.
Die möglichen Auswirkungen solch zufälliger Vorkommnisse durchdachten
die weisen Männer gewissenhaft.
Wenn sich die mittelalterlichen Propheten einig waren über das Schicksal
eines jungen Ritters, dann bestimmten sie den Weg seiner Erziehung: Sie legten
fest, wer wann wo seine Ausbildung zum Krieger übernehmen werde und welche
"hohe Dame"ihn geistig unterweisen solle. Sie verrieten auch astrologische
Termine, magische Zahlen und besondere Farben, die bestimmend werden würden
im Leben des eben erst geborenen Säuglings.
Das 5. Lebensjahr
Die "hohe Dame" entfremdete den Knaben seiner Mutter und senkte mit Heldensagen und Erzählungen über ritterliche Abenteuer die kriegerische Begeisterung allmählich in sein Gemüt.
Das 7. Lebensjahr
Im siebten Lebensjahr übernahm der von den Wahrsagern seit langem schon
ausersehene Ausbilder - meist ein Ritter auf benachbarter Burg - den scharfen
Schliff:
Der Edelknabe lernte reiten, jagen, mit Pfeil und Bogen auf Hirsch und Hasen
schießen. Er begleitete seinen ritterlichen Lehrmeister auf strapaziösen
Reisen und verlor in der Gesellschaft rauher Reitersleute schnell sein kindliches
Wesen.
Das 14. Lebensjahr
Wenn der Edelknabe ins vierzehnte Lebensjahr trat, erlebte er den ersten
festlichen Höhepunkt seines Lebens:
In Gegenwart zahlreicher Verwandter, bei Trommelwirbel und Schallmeienklängen,
weihte ihn ein Priester zum Knappen. Er bekam eine Lanze, ein Kreuzschwert
und einen Schild mit Wappen. Außerdem bekam er Sporen; aus Silber. Golden
Sporen sollte er erst als Ritter erhalten.
Mit diesem Zeremoniell begann für den jungen Adeligen eine lebensgefährliche
Zeit. Er hatte sich stets in unmittelbarer Nähe seines Herrn aufzuhalten.
Selbst im blutigsten Scharmützel durfte er nicht von dessen Seite weichen.
Des Knappen Pflicht war es auch, seinen Herren, sollte er in Bedrängnis
geraten, aus einem feindlichen Haufen herauszuhauen. Er mußte entwaffnete
Gefangene seinens Lehrmeisters bewachen. War er außergewöhnlich
tapfer, dann durfte er in offener Feldschlacht das Fähnlein seines Herrn
tragen; eine besonders ehrenvolle und gefährliche Aufgabe, die ihn zum
Ziel gegnerischer Angriffe machte. Nicht selten verlor ein Knappe im Knabenalter
sein Leben.
Das 21. Lebensjahr
Wer die harte Ausbildung überstand, erlebte schließlich die Verleihung der Ritterwürde, meist im 21. Lebensjahr. Doch das Alter war nicht bindend, der Lehrmeister allein bestimmte, ob der Knappe reif für den Ritterberuf sei, ob er noch warten müsse oder ob er gar schon früher zum Ritter geschlagen werden dürfe.